Über Helmut Richter

Antigone anno jetzt

Als sie aufgestanden war, stand sie allein,
Ringsum Menschen, die sie lange kannten,
Aber nun die Blicke auf sie wandten,
So, als würde sie hier eine Fremde sein.

Und sie sah an mancherlei Gebärden,
Welche böse Lust die andern überkam:
Wenn sie jetzt Partei für ihren Bruder nahm, 
Würde sie in tiefes Schweigen eingemauert werden.

Da verließ Antigone der Mut. 
Denn ihr selbst schien jetzt, es sei nicht gut, 
Ganz alleine aufzustehen.

Also setzte sie sich wieder.
Und nun schlugen alle ihre Augen nieder,
Als sei etwas Schreckliches geschehn. 

Nein, der am 30.11.1933 in Freudenthal geborene Helmut Richter hat sich im Gegensatz zu der Hauptfigur seines wohl bekanntesten Sonettes nicht gesetzt, wenn der Wind von vorne blies. Er wurde aus Freudenthal mit seiner Mutter im Juni 1945 vertrieben und kam nach Sachsen-Anhalt, übte nach der Volksschule viele Tätigkeiten wie Landarbeiter und Traktorist aus, legte an der ABF in Halle sein Abitur ab und studierte Physik in Leipzig. Dann arbeitete er als Prüfingenieur, ehe er Anfang der 60er Jahre am Literaturinstitut Johannes R. Becher studierte.

Weder, als 1963 Exmatrikulation drohte, weil ein Gedicht dem Leipziger 1. SED Bezirkssekretär Paul Fröhlich missfiel, noch 1969, nachdem seine Reportage “Schnee auf dem Schornstein“ über den Bau des Kraftwerkes Thierbach dem Veröffentlichungsverbot anheimfiel. Er, der Romane wie 1971 „Scheidungsprozess“, Erzählungen wie „Der Schlüssel zur Welt“ 1975, Hörspiele und Filmszenarien „Über sieben Brücken musst Du gehn“ 1975 mit seinem gleichnamigen Liedtext, von Karat vertont und weltweit durch berühmte Künstler gecovert, schuf, kehrte 1980 als Dozent an das Leipziger Literaturinstitut zurück.

1982 erfolgte die Gründung der „Leipziger Blätter“, dieses zumindest deutschlandweit einmaligen kulturgeschichtlichen Periodikums einer Stadt, dessen Cheflektor Helmut Richter bis 1989 war und als Mitglied des Herausgeberbeirats seinem „Kind“ bis 2008 die Treue hielt.
1990 bis 92 zum Direktor des Johannes R. Becher-Institutes für Literatur gewählt und zum Professor berufen, hieß es unmittelbar danach wieder stehen zu bleiben, um gegen die am 11.12. 1990 durch die Regierung des Freistaates Sachsen vorgesehene Liquidierung, der Kunsthochschule für angehende Autoren ein anderes Meinungsbild durchzusetzen. Dies gelang auch dank der Unterstützung prominentester Literaturschaffender wie der späteren Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in Form eines Institutes der Universität Leipzig.

Helmut Richter, ob dieses staatlichen Umganges entsetzt, der, wie er selber schreibt, „Voreingenommenheiten, Diskriminierungen, Denunziationen......gegen das Institut, die Kollegen Dozenten und seine Person“ ausdrückt, kündigt vorfristig und arbeitet ab 1993 ausschließlich freiberuflich als Schriftsteller. Werke wie „Wiedersehen nach Jahr und Tag „1998, „Was soll nur werden, wenn ich nicht mehr bin“, 2008 „Wer die Fuge liebt, der beweibt sich“. Hundert Limericks 2013 zeugen von der Schaffenskraft dieser Künstlerpersönlichkeit.

Helmut Richter pflegte viele langanhaltende Künstlerfreundschaften. Sehr eng waren beispielsweise seine Beziehungen zu Hans Pfeiffer oder zum Verleger des Aufbau Verlages, Elmar Faber.
Helmut Richter verstarb am 3.11.2019. Einen Nachruf hatte er selbst geschrieben. Sein Vermächtnis an nachfolgende Generationen formulierte er so:

Fest überzeugt bin ich, dass unser Scheitern
den Enkeln Anreiz sein wird und nicht Bürde
Verlierer taugen keinerzeit zu Wegbegleitern
und trotzdem hat ein Hamlet-Schicksal Würde.

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