Wolfgang Hilbig

laßt mich doch
laßt mich in kalte fremden gehn.

ihr habt mir ein Haus gebaut
laßt mich ein anderes anfangen.

Ihr habt mir sessel aufgestellt
setzt puppen in eure sessel.

Ihr habt mir einen weg gebahnt
ich schlag mich
durchs gestrüpp seitlich des wegs.

sagtet ihr man soll allein gehen
würd ich gehen
mit euch.

sw-Foto mit Schriftsteller Wolfgang Hilbig. Foto: Deutschlandfunk
Foto: Deutschlandfunk

Dieses Gedicht von Wolfgang Hilbig, geboren am 31.8.1941 in Meuselwitz, ist ein Selbstbildnis und -zeugnis eines Menschen, der sich nie angepasst hat, der seinen Weg ging, keine vorgezeichneten Linien akzeptierte, unbeirrbar und niemals „wertvollen“ Hinweisen folgend, ausschließlich seinen eigenen Neigungen nachgebend, also nicht einer zwischen vielen, nicht dabei, sondern von außen.

Sein erstes Werk „Abwesenheit“ enthält Arbeiten, die dieses Verständnis spiegeln und in einem Zeitraum von mehr als einer Dekade entstanden, darf in der DDR unverständlicherweise nicht erscheinen, wird jedoch vom S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main ediert und bringt dem Autor seitens der DDR eine Geldstrafe wegen Devisenvergehens ein. Ein Jahr zuvor, 1978, ging der Staat noch rigider vor. Wolfgang Hilbig wurde verhaftet, aber brechen konnte man einen solchen Charakter auch damit nicht.

Bereits 1968 initiierte Siegmar Faust eine Lesung auf einem Schiff auf dem Leipziger Elsterstausee, wo die Lyrik Hilbigs positiv auffiel. Ganz im Gegenteil zu den Urteilen im von Manfred Künne geleiteten Zirkel Schreibender Arbeiter „Heinz Rusch“. Auch dies ist nicht nachvollziehbar, erfüllte Hilbig doch als Bohrwerksdreher, Werkzeugmacher, Heizer alle staatlich gedachten Voraussetzungen als Vorzeigedichter des Bitterfelder Weges. Es waren seine nichtkollektivistischen Texte, die unverdiente Ablehnung hervorriefen.

1980 erscheinen dennoch einige seiner Gedichte in „Sinn und Form“, die als Zeitschrift der Akademie der Künste einer gemilderten Zensur unterlag, 1982 kamen seine Erzählungen „Unterm Neomond“ erneut bei S. Fischer heraus, 1983 die wortgewaltige Lyrik- und Prosasammlung „Stimme Stimme“ bei Reclam in Leipzig.
Das erzwungene unstete Leben, häufige Wohnungswechsel und das Unterkommen bei Freunden wie Gert Neumann und Siegmar Faust, endet erst 1985 mit der Übersiedlung von Wolfgang Hilbig in die Bundesrepublik.

Seine Romane „Eine Übertragung“ und „Ich“, die Erzählbände „Die Arbeit an den Öfen“ und „Die Kunde von den Bäumen“ sowie der dritte Roman „Das Provisorium“, beschreiben das Leben und Arbeiten in seiner sächsischen Heimat. Hilbig ist der Autor, der der Sprache am meisten zutraut und zumutet.

Endlich erfährt Wolfgang Hilbig die Anerkennung, die er stets verdient hat, ist Mitglied in vier Akademien, wird Träger vieler Literaturpreise.

P.S. Wer mehr über diesen, am 2.6.2007 in Berlin verstorbenen, Schriftsteller erfahren möchte, sollte sich unbedingt auf die wunderbaren Seiten der Wolfgang-Hilbig- Gesellschaft begeben.

  • Wohnhaus: Spittastr. 21, Leipzig (Bildnachweis: Wikipedia)
  • Grabstelle: Dorotheenstädtischer Friedhof Berlin